· Pressemitteilung

Von Infektionen, Symbiosen und Tumorzellen: Forschung am Exzellenzcluster CIBSS

Lektine spielen eine Schlüsselrolle bei der Zellkommunikation in verschiedenen Organismen. Die Forscher*innen in CIBSS erkunden ihre Funktionen, um Medizin, Landwirtschaft und Biotechnologie voranzubringen.

Was haben Krankheitserreger, Pflanzenwurzeln und Immunzellen gemeinsam? Zentrale biologische Prozesse verlaufen oft nach ähnlichen Prinzipien – selbst in Organismen, die evolutionär weit voneinander entfernt sind. Ein Beispiel hierfür ist die Rolle von Lektinen: Diese Proteine sind an Signalprozessen beteiligt, die für die Zellkommunikation und -interaktion wesentlich sind. Im Exzellenzcluster CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies der Universität Freiburg arbeiten Wissenschaftler*innen verschiedener Fachrichtungen dazu eng zusammen. Das Verständnis gemeinsamer Prinzipien eröffnet neue Forschungsansätze und innovative Anwendungen – von verbesserten Strategien gegen Infektionskrankheiten über nachhaltigere Pflanzensymbiosen bis hin zu neuen Ansätzen in der Krebstherapie.

Lektine kommen in Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen vor und erfüllen vielfältige Funktionen. Sie sind oft Zellmembranen angelagert und können die biologischen Reaktionen der Membran beeinflussen. Indem sie hauptsächlich an Zuckerstrukturen binden, regulieren sie Zellprozesse, die für Immunabwehr, Infektionen und symbiotische Interaktionen entscheidend sind. Die Forschung zu Lektinen am Exzellenzcluster CIBSS zeigt, wie gewinnbringend der enge Austausch zwischen Forschungsgruppen unterschiedlicher Disziplinen ist: Die Zusammenarbeit ermöglicht neue Perspektiven, die weit über die Möglichkeiten rein fachspezifischer Forschung hinausgehen und zu grundlegenden biologischen Erkenntnissen führen.

CIBSS-Wissenschaftler Prof. Dr. Thomas Ott. Foto: Michael Spiegelhalter / Universität Freiburg

Was verbindet Krankheitserreger, Pflanzen und Immunzellen?

Der Krankheitserreger Pseudomonas aeruginosa kann schwere Infektionen beim Menschen auslösen. Wie genau das Bakterium in Wirtszellen eindringt, untersucht der Zellbiologe Prof. Dr. Winfried Römer. Er konnte zeigen, dass Pseudomonas aeruginosa mithilfe bestimmter Lektine gezielt Einstülpungen der Plasmamembran auslöst, um eine Zelle zu infizieren. Diese Erkenntnis inspirierte die Arbeit des Pflanzenforschers Prof. Dr. Thomas Ott und Dr. Casandra Hernández-Reyes, Postdoktorandin bei CIBSS, die symbiotische Infektionen von Pflanzen durch Bakterien untersuchen. In Zusammenarbeit mit der Gruppe um Römer begannen Ott und sein Team, vergleichbare Mechanismen bei der so genannten Wurzelknöllchensymbiose von bestimmten Pflanzen mit nützlichen Mikroorganismen wie Rhizobien zu untersuchen.

Parallel dazu floss Römers Arbeit in ein weiteres Forschungsprojekt innerhalb von CIBSS ein: Unter gemeinsamer Leitung und in Zusammenarbeit mit CLP Fund Empfängerin Dr. Ana Valeria Melendez und Dr. Rubí Misol-Há Velasco Cárdenas untersuchten Römer und die Immunologin Prof. Dr. Susana Minguet, wie Lektine gezielt eingesetzt werden können, um Tumorzellen spezifisch zu erkennen. Beide Teams entwickelten Hand in Hand so genannte lektinbasierte chimäre Antigenrezeptoren (CAR) auf Immunzellen, die aufgrund ihres Bindungsmechanismus in der Lage sind, bestimmte Tumorzellen zu erkennen und zu zerstören. Diese Arbeiten verdeutlichen, wie gemeinsame molekulare Prinzipien in völlig unterschiedlichen biologischen und medizinischen Kontexten Anwendung finden können.

Proteine mit vielseitigen Funktionen: Lektine bei bakteriellen Infektionen

Seit vielen Jahren arbeiten Römer und sein Team daran, die Mechanismen zu verstehen, mit denen Krankheitserreger die Zellmembranen ihrer Wirtszellen manipulieren, um Infektionen auszulösen. „Einer unserer Schwerpunkte liegt dabei auf der Frage, inwiefern Lektine bei bakteriellen Infektionen zelluläre Prozesse beeinflussen“, sagt Römer. In ihren ersten Studien konzentrierten sich die Forschenden speziell auf das Lektin LecA des Infektionen auslösenden Bakteriums Pseudomonas aeruginosa.

Dabei zeigten sie, dass bakterielle Lektine nicht nur eine Art Klebstoff sind, mit dem sich Bakterien an Wirtszellen anheften. LecA wirkt darüber hinaus als Invasionsfaktor, indem es gezielt an das Glykolipid Gb3 auf der Zellmembran bindet, was dazu führt, dass sich die Lipide in der Membran reorganisieren und zusammenlagern – ein Mechanismus, den die Wissenschafler*innen als „Lipid-Zipper“ beschreiben. Durch diesen Prozess werden zelluläre Signalwege aktiviert, die es dem Bakterium erleichtern, in die Wirtszelle einzudringen. Wegweisende erste Ergebnisse wurden bereits 2014 veröffentlicht – sie sind eine wichtige Grundlage für viele weitere im Rahmen des Exzellenzclusters CIBSS durchgeführte Studien.

Signalwege entschlüsseln: Neue Ansätze gegen Infektionen und Krebs

Bereits in den ersten Studien von Römers Team spielte auch das Glykolipid Gb3 eine zentrale Rolle. „Gb3 ist nicht nur ein Bindungspunkt für bakterielle Lektine, sondern war schon damals auch als Tumormarker bekannt, der auf der Oberfläche vieler Krebszellen übermäßig stark angereichert vorkommt“, sagt Römer.

 

 

 



Prof. Dr. Winfried Römer
Professor für Synthetische Biologie von Signalprozessen, CIBSS

Diese Doppelfunktion als pathogener Faktor und als potenzielles Ziel für therapeutische Ansätze zeigt, wie vielseitig Lektine als Werkzeuge in der Biomedizin sein können

Die Forschenden beobachteten, dass zwei der untersuchten Lektine gezielt an Gb3 binden, was das Potenzial für Anwendungen auch außerhalb der Infektionsforschung deutlich machte. Zum einen eröffnet diese Bindungsperspektive die Möglichkeit, bakterielle Infektionen gezielt zu verhindern, indem man etwa die Lektin-Gb3-Interaktion blockiert. Zum anderen lässt sich Gb3 aber auch in der Krebsforschung als Angriffspunkt nutzen, um Tumorzellen spezifisch zu erkennen. „Diese Doppelfunktion als pathogener Faktor und als potenzielles Ziel für therapeutische Ansätze zeigt, wie vielseitig Lektine als Werkzeuge in der Biomedizin sein können“, sagt Römer.

Lektine als Werkzeuge um symbiotische Partnerschaften in der Pflanzenwelt zu optimieren

Auch der Pflanzenforscher Thomas Ott arbeitete bereits an Lektinen. Römers Ergebnisse motivierten ihn und sein Team zu untersuchen, ob vergleichbare, durch Lektine verursachte Membranveränderungen auch in der Wurzelknöllchensymbiose zu beobachten sind. „Die Ähnlichkeit der Einstülpungen war faszinierend, auch wenn die beteiligten Lektine und Mechanismen letztlich unterschiedlich sind“, sagt Ott. Bei der Wurzelknöllchensymbiose gehen Bodenbakterien, sogenannte Rhizobien, eine enge Partnerschaft mit Pflanzen ein, indem sie Wurzeln besiedeln und die Pflanzen kleine Knöllchen bilden. Darin wandeln sie Stickstoff aus der Luft in eine für die Pflanze nutzbare Form um – ein Prozess, der für Pflanzen selbst nicht möglich wäre und ihnen eine individuelle Stickstoffversorgung ermöglicht. Diese natürliche „Düngerfabrik“ verbessert außerdem die Bodenfruchtbarkeit, indem der gebundene Stickstoff nach dem Fruchtwechsel anderen Pflanzen zur Verfügung steht. Eines von Otts Zielen ist es, langfristig Strategien zu entwickeln, wie sich diese wertvolle Eigenschaft optimieren und vielleicht auf andere Nutzpflanzen übertragen lässt. In der Landwirtschaft könnte das Ressourcen sparen und den ökologisch problematischen Einsatz synthetischer Düngemittel reduzieren.

 

 

Dr. Casandra Hernández-Reyes, Postdoktorandin bei CIBSS und Prof. Dr. Thomas Ott. Foto: Michael Spiegelhalter / Universität Freiburg

Otts Team arbeitet mit dem natürlichen Lektin LDP1 aus der Modellpflanze Medicago truncatula aus der Gattung des Schneckenklees. Die Forschenden konnten zeigen, dass sich LDP1 in der sogenannten Infektionskammer anhäuft – in dem Bereich der Wurzel, in dem die Symbiose zwischen Pflanze und Rhizobien eingeleitet wird. In Zusammenarbeit mit Winfried Römer untersuchte das Team außerdem mithilfe eines experimentellen Modells, wie sich LDP1 außerhalb seines natürlichen pflanzlichen Kontexts verhält. „Wir konnten Winfried Römers System nutzen, ohne Monate oder Jahre darauf zu verwenden, ein eigenes aufzubauen“, sagt Ott. „Das war ein großer Vorteil.“

Von der Forschung zur Praxis: Anwendungen mit Lektinen

Die Forschenden fanden Hinweise darauf, dass das untersuchte Lektin unter bestimmten Bedingungen mit spezifischen Zuckermolekülen auf bakteriellen Zellwänden interagiert – und damit möglicherweise Membraneinstülpungen fördert. Dieser Mechanismus könnte für die Aufnahme von Rhizobien in Pflanzenzellen eine wichtige Rolle spielen. Anders als bei Krankheitserregern, bei denen dieser Effekt verhindert werden soll, könnte er in Pflanzen gezielt gefördert werden, um symbiotische Interaktionen zu unterstützen.

Die erforschten, genetischen Konstrukte, zielen darauf ab, die Genexpression in Pflanzen zu regulieren und symbiotische Prozesse zu fördern. Ließen sich die untersuchten Mechanismen in lebenden Zellen nachstellen, könnte das einen neuen Ansatz eröffnen, um symbiotische Bakterien gezielt in Pflanzenzellen aufzunehmen – und möglicherweise nachhaltigere landwirtschaftliche Anwendungen zu erschließen.

 



Prof. Dr. Susana Minguet
Professorin für Synthetische Immunologie, CIBSS

Es eröffneten sich völlig neue Möglichkeiten zur Bekämpfung von Tumoren, die bisher als unangreifbar für bestehende Immuntherapiestrategien galten

Expertise in Immuntherapie kombiniert mit Lektin- und Membranforschung

Hierfür ist es entscheidend, die vom CAR ausgelösten Signalwege in den T-Zellen sorgfältig auszubalancieren: Sie müssen einerseits stark genug sein, um eine wirksame Aktivierung und Tumorzellabtötung zu gewährleisten, dürfen aber andererseits nicht zu stark sein, um keine sogenannte T-Zell-Erschöpfung auszulösen – ein dysfunktionaler Zustand, bei dem T-Zellen ihre Fähigkeit verlieren, sich zu vermehren, abzutöten und wichtige entzündungsfördernde Signale auszusenden. Die Erschöpfung der T-Zellen schwächt die gesamte Immunantwort gegen Krebs und verringert die langfristige Wirksamkeit einer Therapie.

Innovative Immuntherapie durch Lektin-CAR-T-Zellen

Eines der Spezialgebiete von Susana Minguet ist die sogenannte CAR-T-Zell-Therapie. Bei diesem modernen Verfahren der Immuntherapie werden körpereigene T-Zellen von Patient*innen genetisch so verändert, dass sie Krebszellen mithilfe von sogenannten chimären Antigenrezeptoren (CAR) erkennen und angreifen. Bisher basierte diese Technologie meist darauf, dass die CAR-T-Zellen bestimmte Proteine auf Tumoren erkennen. In der Zusammenarbeit von Susana Minguet und Winfried Römer entstand die Idee, diese Strategie zu erweitern und Lektine in CARs einzubauen, sodass T-Zellen Tumorzellen auch anhand veränderter Zuckerstrukturen – sogenannter Glykanmuster – identifizieren.

„Damit eröffneten sich völlig neue Möglichkeiten zur Bekämpfung von Tumoren, die bisher als unangreifbar für bestehende Immuntherapiestrategien galten“, sagt Minguet. „Das ist ein aufregender wissenschaftlicher Durchbruch – und der interdisziplinäre Austausch hat entscheidend dazu beigetragen.“ Inzwischen konzentriert sich das Team darauf, die Reaktion der CAR-T-Zellen zu optimieren, die auf die Erkennung ihres Ziels folgt. „Um Tumorzellen wirksam zu eliminieren, reicht die Erkennung allein nicht aus: CAR-T-Zellen müssen richtig aktiviert werden.“

Prof. Dr. Susana Minguet und Dr. Ana Valeria Meléndez im Labor. Foto: Michael Spiegelhalter / Universität Freiburg

Künftig wollen die Teams von Minguet und Römer die Möglichkeiten von Lektinen noch weiter erforschen. Dazu gehört, neue Lektine zu identifizieren, die spezifisch an abweichende Zuckerstrukturen auf Krebszellen binden, und diese Lektine durch Protein-Engineering weiter zu optimieren. Außerdem arbeiten sie daran, Lektin-CAR-T-Zellen weiterzuentwickeln und zusätzlich Lektin-NK-Zellen („Natural Killer Cells“) einzusetzen, um das Spektrum der mit Lektinen ausgerüsteten Immunzellen zu erweitern. Römer: „Die enge Verbindung zwischen Susanas Erfahrung in der Immuntherapie und unserer Expertise in der Lektin- und Membranforschung ist entscheidend, um solche innovativen Ansätze Realität werden zu lassen.“

 

 

Ausgewählte Publikationen