Das OXPHOS-System besteht aus vier Molekülkomplexen, die zusammen die Elektronentransportkette bilden, sowie dem Enzym ATP-Synthase. Die richtige Stöchiometrie zwischen diesen Komponenten ist für die Zelle lebenswichtig, da sonst schädliche Sauerstoffradikale entstehen. Die aktuelle Studie unter Leitung von Prof. Dr. Nora Vögtle, stellvertretende Direktorin des ZMBH und Mitglied des CIBSS, hat nun einen ausgeklügelten Mechanismus identifiziert, der die Herstellung des OXPHOS synchronisiert.
Um Einblicke in die biologischen Mechanismen zu bekommen, nutzten die Forschenden Hefezellen. Wenn deren Nahrungsquelle von Zucker auf Glycerin umgestellt wird, sind die Zellen gezwungen, sehr schnell zusätzliche OXPHOS-Systeme aufzubauen, um nicht zu verhungern. Während dieser Umstellung des Stoffwechsels konnten die Forschenden die Bildung eines bisher nicht charakterisierten Proteins nachweisen, das die Studienautor*innen Mra1 genannt haben. "Wir hatten Mra1 schon vorher in Proteom-Untersuchungen identifiziert, aber wir kannten seine Funktion nicht. Die Tatsache, dass es eine Rolle bei der Umstellung des Stoffwechsels spielen könnte, hat unser Interesse geweckt, und wir wollten seine molekulare Funktion aufdecken", sagt Vögtle.
Stop-and-go-Mechanismus steuert OXPHOS-Aufbau
Durch die Kombination verschiedener Forschungsmethoden, darunter biochemische Assays, Proteomik, Bildgebung und Strukturmodellierung, identifizierten die Studienautor*innen einen bisher unbekannten Molekülkomplex, zu dem Mra1 gehört, und den sie als MiRA bezeichnen. "Im Verhältnis zu anderen Zellkomponenten ist MiRA wirklich gigantisch", beschreibt Vögtle. MiRA steuert den Aufbau von OXPHOS durch einen ausgeklügelten Stop-and-Go-Mechanismus: Mra1 wirkt wie eine molekulare Bremse und blockiert die Bildung eines der Komplexe der Elektronentransportkette. Bevor weitere Komplexe gebildet werden können, müssen erst zwei Start-Signale bei MiRA ankommen: "Interessanterweise sind diese Signale sowohl in der Kern- als auch in der Mitochondrien-DNA kodiert", erklärt Vögtle. Die beiden Start-Signale führen zu einem Abbau von Mra1 und ermöglichen so den synchronen Ablauf der OXPHOS-Assemblierung.
"Die Identifizierung von MiRA war schon ein Erfolg für uns – aber dass wir dann auch noch die Funktion dieses riesigen Komplexes, den zugrundeliegenden molekularen Mechanismus und dessen physiologische Bedeutung aufklären konnten, ist schon etwas Besonderes", sagt Vögtle. "Aber es hat auch über drei Jahre gedauert", fügt sie hinzu. Die Funktionsweise von MiRA könnte auch einer der Gründe dafür sein, dass Mitochondrien ihr eigenes Genom behalten haben, denn diese Aufteilung ergibt die zwei verschiedenen Signalquellen, die der Komplex verrechnet. Ähnliche Mechanismen wie dieser könnten auch den Aufbau anderer Molekülkomplexe in der Zelle steuern. Damit könnte die aktuelle Studie Grundlage für weitere Forschungen werden.
Originalpublikation
Daiana N. Moretti-Horten, Carlotta Peselj, Asli Aras Taskin, Lisa Myketin, Uwe Schulte, Oliver Einsle, Friedel Drepper, Marcin Luzarowski, F.-Nora Vögtle (2024). Synchronized assembly of the oxidative phosphorylation system controls mitochondrial respiration in yeast. In: Developmental Cell. DOI: 10.1016/j.devcel.2024.02.011
CIBSS-Profile von Prof. Dr. Nora Vögtle